Radschnellweg RS4 Aachen-Herzogenrath

Einwände der Naturschutzverbände zum Radschnellweg RS4 Aachen-Herzogenrath

Ein Radschnellweg ist die höchste Kategorie von Radverkehrsinfrastruktur.
Er soll folgenden Anforderungen genügen:

  • Ortszentren direkt und ohne Umwege miteinander verbinden
  • hoch belastete Straßen entlasten können
  • Kreuzungs- und Hindernisfrei sein
  • minimale Steigungen und Gefälle aufweisen
  • ausreichend breit sein, um Überholen und Nebeneinanderfahren zu ermöglichen
  • gefahrlosen Zweirichtungsverkehr ermöglichen
  • deutlich sichtbar getrennt Platz für Fußgänger, Rollatoren, Kinderwagen bieten
  • nachts ausreichend beleuchtet sein
  • im Winter gegebenenfalls zeitig geräumt werden

Ziel eines Radschnellweges ist, ein möglichst attraktives Angebot für einen umwelt-angepassten, klimafreundlichen und effektiven Individualverkehr anzubieten.
Angesprochen werden sollen damit vor allem Menschen, die ihre Alltagswege bisher mit dem Kraftfahrzeug zurück legen, sich aber angesichts der miserablen Qualität der existierenden (oder eben nicht) Radwege nicht vorstellen können, auf das Rad umzusteigen.

Dabei ist auf den hoch belasteten Pendlerstrecken, wie sie die beiden Straßen zwischen Aachen und Herzogenrath (L232 Roermonder Straße und L244 Berensberger Straße) darstellen, an Werktagen zweimal täglich Verkehrskollaps. Nur stellenweise gibt es entlang dieser Straßen Radwege, die kaum den Ansprüchen genügen können. Sie sind alt, schmal, schadhaft, übersät von Hindernissen und werden alle paar Meter von Querungen, Einfahrten und anderen Gefahrenstellen beeinträchtigt.
Dort, wo die Straßenbreite die Anlage von Radwegen nicht hergegeben hat, fehlen sie ganz. Oder es sind an ihrer Stelle sog. „Schutzstreifen“ mit Farbe am Boden markiert. Diese, in Flandern „Moordstrookjes“ genannten Verkehrsanlagen, werden nach Studienergebnissen aus dem Bereich der Verkehrspsychologie von Autofahrern als Visierhilfe benutzt – und bewirken damit ein engeres Überholen als an Stellen ohne Streifen.
Vielfach sind sie – inzwischen ist das verboten – an rechts am Straßenrand angeordneten Parkplätzen geführt und zwingen damit den Radverkehr in den Gefahrenbereich sich öffnender Autotüren. Seit 2023 muss ein Sicherheitsabstand von 75cm zum Schutzstreifen von 1,5 m Breite vorhanden sein. Um solche Anlagen vorzuhalten, die vom KfZ-Verkehr nicht überfahren werden, reicht in der Regel der Platz nicht aus.

Radfahrende und Kraftfahrzeuge trennt auf Straßen innerorts aber eine Geschwindigkeitsdifferenz von 25km/h, ausreichend für eine erhebliche Gefährdung des Radverkehrs durch Kraftfahrzeuge im Falle einer Kollision! Früher war es üblich, den Radverkehr (mit dem bekannten blauen Schild, meist zusammen mit und untergeordnet dem Fußverkehr) auf den Bürgersteig zu verbannen. Dagegen hat das Oberverwaltungsgericht Leipzig grundlegend geurteilt: Dies darf nur bei Vorliegen einer „qualifizierten Gefahrenlage“ angeordnet werden. Dabei ist zu beachten, dass die Gefährdeten (der Radverkehr) bei der Teilnahme am Straßenverkehr nicht zu Gunsten der Gefährder (Kraftfahrzeugführende) benachteiligt werden dürfen! Rad fahrende haben also das gleiche Recht auf die Straße wie der motorisierte Verkehr.

Dies ist – leider – vielfach in der Praxis noch nicht angekommen. Dort, wo neu gebaut wird, muss dem aber Rechnung getragen werden, auch wenn dadurch möglicherweise Parkplätze wegfallen oder die Bequemlichkeiten für den Kraftfahrzeugverkehr eingeschränkt werden müssen. Das ist nach aktueller Rechtslage nur gerecht, nachdem Rad fahrende 100 Jahre lang die Leidtragenden einer sich immer weiter entwickelnden Motorisierungswelle gewesen sind.

Ein Radschnellweg soll nur in wenigen Ausnahmefällen mit Kraftfahrzeugstraßen in Berührung kommen. Seine Benutzung soll auch für den nicht versierten, möglicherweise ortsunkundigen Rad fahrenden genau so komfortabel und sicher sein wie eine Schnellstraße für Auto fahrende.

Bekanntlich hat die Städteregion Aachen in Zusammenarbeit mit der Stadt Herzogenrath 2013 einen Wettbewerb gewonnen, in dem sich Regionen für eine Realisierung von Radschnellwegen bewerben konnten. Da es sich um Leuchtturmprojekte handeln sollte, war der Preis attraktiv: Bund und Land übernehmen die gesamten Planung- und Baukosten der preisgekrönten Projekte, wenn die Bedingungen eingehalten werden!

Nach Abschluss der Linienfindung und umfangreicher Umweltverträglichkeitsprüfungen, ausgebremst zwischenzeitlich durch die Corona Pandemie, hat die federführende Städteregion Aachen Ende 2023 endlich mit den ausführlichen Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit und Berücksichtigung von Einwendungen gemacht.

Im Bereich zwischen Kohlscheid und Herzogenrath-Mitte soll der Radschnellweg RS4 (vierter Platz im Preisausschreiben) steigungsarm entlang der sog. „Kohlscheider Rampe“ verlaufen. Dies ist die Bahnstrecke Aachen-Mönchengladbach, die damit den Höhenunterschied zwischen der Tallage im Wurmtal (Herzogenrath Bahnhof) und der Hochebene (Kohlscheid) überwindet. Alle Straßenführungen an anderer Stelle müssen erhebliche Steigungen überwinden z. B. die Aachener Straße zwischen EBC und Herzogenrath Mitte.

Umrundung Glashalde Straß

Überbrückung Senke auf den Heggen

Umrundung Kuhwiese Pannesheide

Untermauerung Hundtforter Benden

Auf und im Nachgang zu den Beteiligungsveranstaltungen gab es Einwände von Vertretern der Naturschutzorganisationen AG Wurmtal, BUND und NaBu, die die Eingriffe in die Natur zwischen Bahndamm und Herzogenrath-Straß für zu erheblich halten. Nach deren nachvollziehbarer Ansicht sollen Radwege auf Kosten des Kraftfahrzeugverkehrs und nicht durch die Natur gebaut werden, die bereits durch vielfache andere Bauprojekte (Wohngebiete, Gewerbegebiete, Straßen) stark in Mitleidenschaft gezogen ist.

Vorgeschlagen wird, den Radschnellweg entlang vorhandener Straßen, also der Roermonder Straße in Kohlscheid und über die Neustraße zwischen Pannesheide und EBC anzulegen. Damit würde die Natur geschont und der Ortsteil Straße besser angebunden.

Dem gegenüber stehen die Widrigkeiten entlang dieser vorgeschlagenen Variante: Allein zwischen dem Kreisverkehr an Pannesheite und dem EBC sind auf deutscher Seite der Neustraße 85 Kreuzungen und Einmündungen von Querstraßen sowie Grundstücks- und Garagenzufahrten vorhanden. Die Zufahrt zu den Parkplätzen in diesem Bereich ist der Radweg – nur auf kurzen Stücken verläuft der Radweg tatsächlich ohne Berührung mit dem Kraftfahrzeugverkehr – allerdings gemeinsam mit dem Fußverkehr, und ohne die erforderliche Breite zu ermöglichen.

Kurzum: Der Bau eines Radschnellweges über die Neustraße müsste einen vollständigen Umbau der gesamten Verkehrsanlage umfassen und sowohl den fließenden als auch den ruhenden Kraftfahrzeugverkehr ganz erheblich einschränken. Im Endergebnis wäre die Neustraße für den Kraftfahrzeugverkehr wieder ein trennendes Element zwischen Deutschland und den Niederlanden, so, wie sie es früher lange war. Beides ist politisch keineswegs durchsetzbar. Und das Problem der Steigung im weiteren Verlauf unterhalb des EBC ist damit immer noch nicht gelöst.

Die drei wesentlichen Punkte, an denen die Naturschutzverbände die Führung des Radschnellweges entlang der Bahnstrecke für bedenklich halten, sind

  • der Bogen, den der Radschnellweg zur Einhaltung gleichen Niveaus um die Fußgängerunterführung unter dem Bahndamm zwischen Pannesheide und der Kläranlage Steinbusch über den bisher als Weidefläche genutzte Fläche schlagen soll. Einwand ist, dass sich hier zwischen Tennisanlage und (demnächst) Hallenbad und der Wohnbebauung von Straße ein Steinkauz-Habitat befindet.
  • die Führung des Radschnellweges über die abgedeckte Sondermülldeponie („Glashalde“), weil sich in den Beton-gedeckten Entwässerungsrinnen beiderseits der Halde (die Auswaschungen aus der Deponie in die Gewässer verhindern sollen) eine Population von Eidechsen angesiedelt hat
  • die Senke am Fußgängertunnel „Auf den Hegten“, in der sich schützenswerte Gehölze befinden, die verschiedenen Kleintieren und Vögeln Lebensraum bietet

Diese drei Beeinträchtigungen halten die Planer und die politischen Gremien für ausgleichbar. Nicht nur, dass im Zuge der Entstehung des Radschnellweges Schäden an den beschriebenen Naturräumen gering gehalten und in der Umgebung ausgeglichen werden – es soll der Grundgedanke berücksichtigt werden, dass an solchen heiklen Stellen ein deutlicher Mehrwert für die betroffene Natur geschaffen wird. Dazu sind die drei Antworten auf die Bedenken der Naturschutzverbände

  • innerhalb des Wiesenbogens zwischen Radschnellweg und Bahndamm am Tunnel unterhalb Pannesheide soll eine Streuobstwiese vorgesehen werden. Mit solchen Streuobstwiesen, die anderwärts als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe in die Natur – wie z. B. Baumfällungen bei Bauprojekten – angelegt worden sind, hat die Stadt Herzogenrath sehr gute Erfahrungen. Insbesondere der Steinkauz liebt Streuobstwiesen, weil sie ihm ein Fülle von Nahrung in Form von Schermäusen und reiche Zahl von Verstecken und Nistmöglichkeiten bieten.
  • die Führung des Radschnellweges soll zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Eidechsenpopulation auf der Bahn-abgewandten Seite um die Glashalde herum geführt werden. Zur Verbesserung des Lebensraumes ist sinnvoll, Bruchsteinhaufen anzulegen, die Verstecke und Plätze zum sonnen für Eidechsen darstellen. Diese werden von den Tieren gegenüber ungeschützten ebenen Flächen immer bevorzugt – man versuche einmal, auf dem Radweg am Urftstausee, der entlang offener Steinlandschaften verläuft, eine Eidechse auf dem Asphalt überfahren – das wird nicht gelingen, weil die Echsen die von ihren Verstecken entfernte offene Fläche meiden.
  • die Senke „Auf den Heggen“ wird mit Hilfe eines Brückenbauwerkes entlang des Bahndammes überspannt. So bleibt der Kleintierlebensraum erhalten und auch der fußläufige Zugang von Straße ins Wurmtal durch den engen Tunnel (der eigentlich der Führung des Abwasserkanals aus Straß zur Kläranlage Steinbusch dient).

Man sieht, dass sich bei vernünftiger Abwägung der Risiken für die Natur – und derer für die Radfahrer! – tragfähige, wenn nicht sogar perspektivisch attraktive Lösungen finden lassen. Gemäß dem alten Spruch:

Wer etwas will, erfindet Lösungen – wer etwas nicht will, erfindet Ausreden

Im Nachgang zur Berichterstattung der Aachener Zeitung über die Befürchtungen der Naturschützer („Naturschutzverbände befürchten eine Schneise der Verwüstung“), in der die Vertreter von AG Wurmtal, BUND und NaBu vor der Herzogenrather Streuobstwiese im Wurmtal abgebildet waren (sic!), hat es Gespräche zwischen dem Sprecher für Radverkehr der Grünen im Rat der Stadt Herzogenrath – Walther Mathieu, der auch BUND Mitglied ist – und Franz-Josef Emundts vom BUND gegeben.

Nach Austausch von Informationen und Standpunkten konnte ein grundsätzliches gegenseitiges Verständnis zwischen Grünen und BUND für die jeweiligen Ansichten festgestellt werden. Sowohl der BUND befürwortet grundsätzlich Radverkehrsprojekte im Sinne einer Verkehrswende als auch die Grünen erkennen die fundamentalen Notwendigkeiten des Naturschutzes an.

Eine Vertiefung der Gespräche wird angestrebt, dazu wollen die Grünen Vertreter des BUND in eine ihrer nächsten Fraktionssitzungen einladen.

Verwandte Artikel